Grete Wendt

Grete Wendt beobachtete das Leben, reiste durch Europa und schuf eine Vielzahl von Figuren – allen voran die Engel mit den charakteristischen grünen Flügeln und den elf Punkten. Als sie für ihre Figurenbildnerei im Jahre 1937 auf der Weltausstellung in Paris eine Goldmedaille verliehen bekam, war der internationale Siegeszug der Engelmusikanten nicht mehr aufzuhalten. Vielleicht spürte sie schon damals: Was den Menschen mitunter unmöglich ist, vermag die Macht der Engel zu vollbringen.

Die Anfänge

Am 24. Februar 1887 wurde in Grünhainichen ein Mädchen geboren, das einmal die Welt verändern und als die Schöpferin der Elfpunkte-Engel bekannt werden sollte. Ihre Eltern tauften sie auf den Namen Margarete. Als Tochter von Albert Wendt, eines Lehrers an der Grünhainichener Gewerbeschule, begeisterte sich Margarete, genannt Grete, schon früh für das Bauen und Basteln, das Zeichnen und Malen. Später begleitete sie ihren Vater in die Schule, wo zu diesem Zeitpunkt nur Jungen lernten  die beginnende Emanzipation eines Mädchens, das als junge Frau den Mut haben wird, eine Firma zu gründen, sie über Jahrzehnte am Leben zu halten und sie später in gute Familien-Hände weiterzugeben. (Matthias Zwarg, 2019*)

Dresdener Jahre

Es muss eine wunderbare Zeit für eine junge Frau gewesen sein, die aus dem provinziellen Grünhainichen in die Metropole Dresden kam. 1907 war ein bedeutendes Jahr für die sächsische Landeshauptstadt. Nicht, weil der lokale Geschichtskalender die Gründung des Verbandes für Deutsche Frauenkleidung verzeichnete, der sich umgehend mit Entwürfen für eine „vernünftige Schul- und Turnkleidung in den Mädchenschulen“ beschäftigen musste. Auch nicht wegen des Neubaus der Augustusbrücke und des Baubeginns der Zigarettenfabrik Yenidze, nicht einmal, weil die Reichsregierung das sächsische Weinbaugebiet für „unheilbar verseucht“ erklärte. Viel wichtiger war, dass am 1. November das Gesetz über das Studium von Frauen in Kraft trat, Frauen ab 1908 also zum Studium an Fach- und Hochschulen zugelassen waren.

Schon kurz zuvor hatte die Dresdner Kunstgewerbeschule die erste Damenklasse eröffnet, in die Grete Wendt im Januar 1907 eintrat. Wie viele ihre Kommilitoninnen und wie auch die spätere Firmenmitbegründerin Grete Kühn war sie schon künstlerisch vorgebildet. Eine aufregende Zeit.

Drei Jahre lang hatten die beiden jungen Frauen das private Zeichenatelier der Geschwister Kleinhempel in Dresden besucht. Gertrud, Erich und Fritz Kleinhempel waren allesamt eng mit der Reformbewegung dieser Zeit verbunden, die handwerkliche Traditionen gegen die Schnelllebigkeit der aufkommenden industriellen Massenprodukte verteidigte, welche sich dreist an der Vergangenheit bediente. (Matthias Zwarg, 2019*)

Beginn einer Design-Geschichte

Den Abschluss ihres Studiums bildete ein Praxissemester, das Grete Wendt bei den Deutschen Werkstätten in Hellerau, heute ein Ortsteil von Dresden, absolvierte. Das Unternehmen war damals ein aufstrebender, moderner Betrieb. Im Zuge der Reformbewegung des Kunstgewerbes zählte er zu den bedeutendsten Herstellern von Möbeln nach Entwürfen namhafter Künstler. Die als Gutshof angelegten Fabrikhallen und die moderne Architektur müssen Grete Wendt imponiert haben, als sie im Oktober 1910 ihr Praxissemester antrat. Von Karl Schmidt, dem Gründer der Werkstätten, bekam sie als erstes den Auftrag, eine Weihnachtskrippe zu gestalten. Ihr Entwurf wurde extern bei der Firma Th. Heymann in Großolbersdorf gefertigt, da Grete Wendt noch keine eigenen Werkstätten besaß. Bereits 1911, folglich kurz nach dem Entwurf der Krippe und der Herstellung der ersten Muster, präsentierte die talentierte Gestalterin ein Exemplar auf der Weihnachtsausstellung des König-Albert-Museums in Chemnitz (heutige Kunstsammlungen Chemnitz). In der nur zweiwöchigen Ausstellungszeit erlangte die Weihnachtskrippe bei den Besuchern große Beachtung. Noch während der Ausstellung erhielt Grete Wendt eine Anfrage vom Dürerbund in Dresden, der die Krippe gern in das Verkaufssortiment des Dresdner Dürerhauses aufnehmen wollte. Der Dürerbund war zu dieser Zeit die führende kulturreformatorische Organisation im deutschsprachigen Raum. Umso ehrenwerter für die junge Gestalterin, dass sie die Anfrage direkt vom Gründer des Dürerbundes, Ferdinand Avenarius, erhielt. Zeitgleich berichteten zahlreiche Fachzeitschriften und Tageszeitungen über die Ausstellung und erwähnten stets den gelungenen Entwurf von Grete Wendt aus Grünhainichen. Erfahren Sie mehr über den historischen Entwurf der Krippenszene.

Der Durchbruch

1913 beteiligte sich Grete Wendt mit dem Entwurf der Beerensammler an einem Wettbewerb für gute Reiseandenken des Vereines Sächsischer Heimatschutz. Für diesen wurde sie mehrfach ausgezeichnet und viele Bestellungen gingen ein. Die ersten Exemplare wurden noch von eigens beauftragten Spielzeugmachern sowie in der elterlichen Wohnung gefertigt.

Der Wunsch, eine eigene Firma zu gründen, reifte. Gemeinsam mit ihrer Studienfreundin Margarete Kühn gründete sie am 1. Oktober 1915 die offene Handelsgesellschaft „M. Wendt u. M. Kühn“. Nach Grete Kühns Hochzeit wurde Grete Wendt alleinige Inhaberin der Manufaktur – so, wie es die beiden Freundinnen vereinbart hatten. Alle Besitztümer einer Ehefrau gingen zu damaliger Zeit an den Ehemann über. Durch die Abmachung der Freundinnen wurde garantiert, dass die Firma in den Händen beider oder zumindest einer Gründerin verblieb.

Bis 1972, als der Betrieb zwangsverstaatlicht wurde, leitete Grete Wendt die Geschicke des Unternehmens, bereiste viele Länder, um ihre Figuren auf namhaften Messen zu präsentieren und hörte nie auf, immer wieder selbst Figuren zu entwerfen.

Künstlerischer Verdienst

Grete Wendt gelang es, hölzerne Figurenteile so zu kombinieren, dass Figuren enstanden, die sich zu bewegen scheinen, lebendig wirken und Lebensfreude ausstrahlen. Begründet liegt dies in der besonderen Technik Gretes, die figürliche Komposition erst beim Zusammenfügen der gedrechselten, gesägten, gefrästen und geschliffenen Holzteile entstehen zu lassen. Auf der Pariser Weltausstellung 1937

sollte Grete schließlich mit ihrem Engelberg mit Madonna internationale Anerkennung für das spezielle Fertigungsverfahren und die daraus hervorgehenden Stücke erlangen. Es war die Verbindung des traditionellen erzgebirgischen Holzkunsthandwerks mit einer eigenen künstlerischen Handschrift, die mit einer Vielzahl von feinsinnigen Entwürfen den Erfolg der jungen Firma begründete und ihn anhalten lässt.

Zwischen Himmel und Erde

Gretes Grünhainichener Engel®  sind es, die bis heute eine Vielzahl an Liebhaberinnen und Liebhabern auf der ganzen Welt begeistern. Gleichzeitig erfreuen sich auch die farbenfrohen Blumenkinder einer großen Beliebtheit. So kann man sagen, dass gerade die Blumenkinder mit „Nähe zum Boden“ und die Engel, die das Privileg erhielten, bis zum Himmelszelt aufsteigen zu können, die Menschen besonders bewegen. Räumlich mögen sie sich weit voneinander entfernt aufhalten, auch wenn sicher ab und an ein Engel zu den Menschen herabsteigt, um nach dem Rechten zu sehen. Doch vielleicht ist es dieser scheinbare Kontrast, der der Vielzahl von Gretes Entwürfen den Zauber verleiht – einerseits die Bodenständigkeit, andererseits die Fähigkeit, die Gedanken fliegen zu lassen, zuversichtlich zu sein und diese Zuversicht jedem Engel, der ein neues Zuhause findet, mitzugeben.

Die Blumenkinder mit ihren überdimensionalen Blüten lassen ihre Betrachter den Blick auf die sonst eher kleinen Dinge richten. Eine besondere Achtsamkeit und handwerkliches Geschick sind nötig, um die Leichtigkeit des Kind-Seins mit der zarten Schönheit der Natur figürlich abbilden zu können.

Am 1. Juli 1979 verstarb Grete Wendt in Grünhainichen, dem kleinen Ort, der ihr ein Leben lang ein Zuhause war und den sie mit ihren Entwürfen bekannt machte. Und obwohl der Todestag Gretes lange zurückliegt, so ist ihr Vermächtnis in der Manufaktur immer gegenwärtig und erlebbar – ob in den historischen Räumlichkeiten, im Musterschrank oder in den Werkstätten, in denen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Manufaktur Gretes Entwürfe und Handwerkskunst bis heute am Leben halten.

 

"Nur wenn man etwas mit Liebe tut, kann das auch wieder Liebe geben"


*Matthias Zwarg ist Autor des 2019 in limitierter Auflage erschienen Buches "Geschichten aus der Manufaktur", welches anlässlich des Jubiläums besondere Geschichten und Schlaglichter aus einhundert Jahren Firmengeschichte beinhaltet. Das Buch ist vergriffen. Wenn Sie mehr über die Geschichte der Manufaktur erfahren möchten, erhalten Sie im Rahmen interessanter Sonderausstellungen und im Erlebnisbereich in der Wendt & Kühn-Welt spannende Einblicke. Außerdem veröffentlichen wir regelmäßig Wissenswertes und historische Aufnahmen in unserer elfpunktepost und auf unserem Instagram-Account.